2025-10-01

Strategien für die Integration von Standardsoftware

Project & Product
Software Engineering
Handgezeichnete Illustration eines abstrakten Flussdiagramms zur Integration von Standardsoftware. Zu sehen sind Symbole wie Zahnräder, Netzwerke, Diagramme, Computerbildschirme, Personen-Icons und Cloud-Symbole, die durch Pfeile verbunden sind und Zusammenarbeit, Automatisierung sowie digitale Prozesse darstellen.
Porträtfoto von Basti

GESCHRIEBEN VON

Basti

INHALT

Einleitung

In der Welt der Produktentwicklung steht eines fest: Der Einsatz von Standardsoftware wird in Zukunft immer wichtiger werden. Wir stellen hier Gründe für diesen Trend, sowie einen 5-schrittigen Prozess zur erfolgreichen Integration dar. Zudem beschreiben wir die neuen Fähigkeiten, die Unternehmen in Zukunft benötigen werden, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

Warum Standardsoftware immer wichtiger wird

Der Softwaremarkt ist so ausdifferenziert wie nie: Für viele Prozesse existieren spezialisierte Lösungen – von Accounting bis Zeiterfassung. Sowohl für interne Abläufe als auch für kundenseitige Angebote lässt sich heute meist ein Tool finden, das den eigenen Anforderungen entspricht und die Arbeit erleichtert.

Früher wurde vieles in Excel zusammengeklickt, in große Komplettlösungen (z. B. SAP) gepresst oder mangels Alternativen selbst gebaut. Heute lohnt es sich, Zeit in Recherche zu investieren, um zu verstehen, wie ein bestehendes Problem im Markt bereits gelöst wird. Diese Vielfalt an fertigen Lösungen senkt gefühlt das Risiko und den Aufwand eigener Entwicklung. Gleichzeitig gilt: Viele Standardlösungen sind stark spezialisiert und decken nur Teile eines Problems ab. In der Praxis entstehen deshalb zunehmend Hybride aus Standardsoftware und Individualentwicklung innerhalb der jeweiligen Domäne.

Beispiele für integrierbare Standardsoftware in einer Domäne

  • Luigi’s Box: Vorkonfigurierte und optimierte Suche, Produktempfehlungen und Produktseiten für Webshops – statt diese Funktionen selbst zu entwickeln, können Teams sie integrieren und Entwicklungszeit sparen.
  • SmartPricer: Plug‑and‑Play‑Preisdynamik für Ticketing‑Anbieter – Marktanalyse und verhaltensbasiertes Dynamic Pricing direkt in bestehende Lösungen integrieren.
  • KI‑Bausteine (LLMs): Viele Unternehmen werden Large‑Language‑Modelle in Produkten einsetzen, aber selten eigene Modelle entwickeln. Stattdessen nutzt man bereitgestellte Modelle/Services (z. B. von OpenAI, Amazon, Google), um Vorteile schnell und kosteneffizient zu heben – ohne die hohen Investitionen in Training und Betrieb eigener Modelle.

Die Versprechen von Standardsoftware

Drei häufig genannte Versprechen sind:

1. Schneller am Markt (Time‑to‑Market)
Standardsoftware spart Entwicklungszeit – Angebote lassen sich schneller ausrollen.

2. Weniger kognitive Last (Cognitive Load) bei den Mitarbeitern
Wenn ganze Prozessbausteine als Service übernommen werden, bleibt mehr Fokus auf die Teile der Domäne, die wirklich differenzieren.

3. Besserer Return on Investment (ROI)
Anbieter bündeln Expertenwissen und Best Practices. Statt fehleranfällige Eigenlösungen aufzubauen, profitiert man von gereiften Produkten und kontinuierlichen Verbesserungen.

Wo sind die Risiken?

Warum sprechen wir hier von „Versprechen“ und nicht schlicht von „Vorteilen“? In der Praxis zeigt sich häufig, dass die Integration von Standardsoftware eben nicht so einfach, schnell und günstig verläuft wie erwartet.

Ein zentraler Grund: Mit dem Gefühl, etwas „von der Stange“ zu kaufen, werden etablierte agile Best Practices oft vernachlässigt. Methoden, die sich in der Eigenentwicklung bewährt haben – wie kontinuierliches Testen, frühe Validierung oder enge Feedbackzyklen – geraten in den Hintergrund. Die Folge sind böse Überraschungen: Schnittstellen, die nicht passen, Daten, die nicht fachlich anschlussfähig sind oder Prozesse, die sich nicht reibungslos umstellen lassen.

Das richtige Mindset für die Integration von Standardsoftware

Im Grunde haben alle agilen oder Produkt Management Methoden (siehe z.B. „Product Discovery“, „Experimente“, „MVP“) ein zentrales Thema: Risikominimierung. Es gilt schnell und kostengünstig herauszufinden, ob man das richtige Produkt baut. Dieses Mindset kann auch auf die Integration von Standardsoftware übertragen werden. Die Integration von Standardsoftware sollte genauso bewusst geplant, getestet und hinterfragt werden, wie eine Eigenentwicklung.

Prozess zur Integration von Standardsoftware

Der folgende Prozess hilft dabei, Standardsoftware risikominimierend zu integrieren.

Schritt 1: Alignment schaffen

Schritt 2: Erfolg definieren

Schritt 3: Experimente durchführen

Schritt 4: Agiler Integrationsbau

Schritt 5: Messen und Auswerten

Im Folgenden wird jeder Schritt näher beschrieben.

Schritt 1: Alignment schaffen

Bevor gestartet wird, müssen alle Beteiligten ein gemeinsames Zielbild haben. Wichtige Fragen sind:

  • Welche Outcomes sollen erreicht werden?
  • Welche Hypothesen stecken in der Annahme, dass die Standardsoftware diese Outcomes ermöglicht?
  • Welche Use Cases soll die Standardsoftware bedienen?
  • Welche Use Cases oder Edge Cases, welche die Fremdsoftware nicht bedient, können gekillt werden?
  • Wird die Fremdsoftware Teil meines USP, meines Marktvorteils?
  • Ist der Organisation bewusst welche Prozesse von der Software beeinflusst werden und welche Auswirkungen das hat?
  • Ist die Organisation bereit, sich auf den Prozess der Standardsoftware einzulassen?
  • Wie hoch ist das Risiko, wenn wir in diesem Bereich wenig eigenes Wissen aufbauen?
  • Was können wir mit dem Hersteller für eine Testphase vereinbaren, aus der möglichst einfach wieder zurückgetreten werden kann?
  • Welche kaufmännischen und technischen Risiken sind bekannt?

Schritt 2: Erfolg definieren

Klare Erfolgskriterien sind unverzichtbar:

  • Wie definieren wir Erfolg konkret?
  • Welche Metriken und KPIs messen ihn?
  • Was passiert, wenn die Software den Erfolg nicht bringt? (z. B. Exit-Szenarien, Alternativen)

Schritt 3: Experimente durchführen

Kleine Experimente helfen dabei, Annahmen zu testen und Risiken zu minimieren:

  • Daten‑Fit prüfen: Passen die vorhandenen Daten zu den Anforderungen der Standardsoftware? Entwickler:innen können oft schon aus API‑Spezifikationen und Dokumentation Risiken erkennen.
  • Fachliche und technische Tests: Mit repräsentativen Testdaten verschiedene Szenarien durchspielen und den erwarteten Nutzen validieren.
  • Nicht‑funktionale Anforderungen (NFR) testen: Skalierbarkeit und Performance z. B. per Lasttests prüfen.

Schritt 4: Agiler Integrationsbau

Unserer Erfahrung nach versteckt sich hier oft ein großes Risiko. Die Annahme ist, dass Standardsoftware wie ein Elektrogerät per Stecker angeschlossen werden kann und dann läuft.

Wer in Schritt 3 Schnittstellen und Rahmenbedingungen ernsthaft analysiert, weiß: Integration kostet Zeit und kann anspruchsvoll sein. Deshalb sollte die Integration agil erfolgen:

  • Identifizierung des kleinsten technischen Proof of Concept zur Risiko-Minimierung
  • Schaffung von End-to-End-Verbindungen, um sicherzustellen, dass die Systeme miteinander interagieren können
  • Iterative Entwicklung und schrittweise Freischaltung weiterer Funktionen

Schritt 5: Messen und Auswerten

Nach der Integration zählt die objektive Erfolgskontrolle:

  • Wurde der gewünschte Outcome erreicht?
  • Welche Maßnahmen ergeben sich aus den Ergebnissen?
  • Entscheidung treffen: fortführen, anpassen oder aussteigen

Notwendige Skills für Unternehmen

Um den Herausforderungen der Integration von Standardsoftware gerecht zu werden, benötigen Unternehmen bestimmte Fähigkeiten. Drei wesentliche Skills sind:

1. Recherche von Standardsoftware
Es gilt herauszufinden, ob es am Markt Software gibt, die für die eigenen Problemstellungen geeignet ist.

2. Make-or-Buy-Entscheidungen dezentral treffen
Make‑or‑Buy wurde traditionell im Management entschieden, weil es oft um große Systeme und Investitionen ging. Künftig werden solche Entscheidungen häufiger in kleineren Einheiten (z. B. Produktteams oder Fachabteilungen) getroffen, wenn Projekte schnell umgesetzt werden sollen. Diese Einheiten müssen selbst entscheiden können, ob sie eine Funktion intern entwickeln oder per Standardsoftware abdecken.

3. Risikoarme Integration vorantreiben
Diese Fähigkeit ist vor allem eine (oft neue) Sichtweise auf Integration. Das Risiko von Machbarkeit und Aufwand wird häufig unterschätzt – das sehen wir in vielen Projekten. Mit dem beschriebenen Prozess lässt sich eine risikoarme Integration sicherstellen und der Blick für Integrationsrisiken schärfen. Probleme werden weiterhin auftreten; mit wachsender Erfahrung wird der Umgang damit jedoch zur Routine.

Zusammenfassung

Es gibt sehr gute Softwarelösungen für Standardprobleme am Markt. Kaum ein Unternehmen wird sich daher künftig leisten wollen, alle Komponenten ihrer Angebote vollständig selbst zu bauen. Die Integration von Standardsoftware in der Produktentwicklung wird häufiger vorkommen. Standardsoftware kann Entwicklungszeit sparen, die kognitive Last in Teams reduzieren und den ROI erhöhen.

Um diese Vorteile zu nutzen, brauchen Produktteams ein Mindset der Risikominimierung und die passenden Fähigkeiten. Denn die Integration – so gut die Software auch ist – kann aufwändig sein. Der beschriebene Fünf‑Schritte‑Prozess bietet eine strukturierte Herangehensweise, um Standardsoftware erfolgreich zu integrieren.

In Zukunft wird die Fähigkeit, Standardsoftware effektiv zu recherchieren, Make‑or‑Buy‑Entscheidungen zu treffen und risikoarme Integrationen voranzutreiben, entscheidend für den Erfolg von Produktteams sein. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, können Unternehmen die Vorteile von Standardsoftware ausschöpfen und ihre Produkte erfolgreich am Markt positionieren.